Ein Liebesbrief

Barthel Pester

Rede von Ole Pruschitzki, Schüler des 12. Jahrgangs des Gymnasiums Graf-Anton-Günther-Schule Oldenburg im Rahmen der Klima-Demo am 12.12.2020 vor dem Oldenburger Hauptbahnhof anläßlich des fünften Jahrestages des Klimabkommens von Paris.

„Ihr könnt unsere Baumhäuser räumen, aber nicht die Kraft, die sie schufen!“ 

Dies war eines von vielen Bannern, das den Danneröder Forst schmückte. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie überwältigt ich war, als ich das erste Mal durch den Wald lief, vorbei an Hunderten Barrikaden und Dutzenden Baumhäusern. Klar, es ist ja auch noch gar nicht lange her, da stand dort, wo jetzt eine von Stacheldraht und Zäunen geschützte Schneise den Wald durchzieht, ein Ort der Freiheit. Trotzdem bin ich sicher, dass diese Bilder meinen Kopf niemals verlassen werden. Die Häuser des Widerstands erreichten die höchsten Wipfel. Ich glaube, ich habe mich noch nie in meinem Leben an einem Ort so wohl und so sicher gefühlt, wie vor zwei Monaten im Danneröder Forst, bevor die Sägen, die Knüppel und die Wasserwerfer kamen, bevor die Helme in Reih und Glied in den Wald maschierten.

Weshalb der Danneröder Wald besetzt worden ist, muss ich glaube ich keinen mehr erklären, daher in aller Kürze: Es soll eine Autobahn, die A49, durch ihn durchgebaut werden. Trotz Klimakrise, trotz Trinkwasserschutzgebiet. Verantwortlich dafür sind zum einen das Bundesverkehrsministerium und die GroKo, die den Bundesverkehrswegeplan 2030 verabschiedet hat, welcher ebenfalls den Neubau von hunderten Autobahn-Kilometern vorsieht und die schwarz-„grüne“ Landesregierung von Hessen, allen voran der grüne Verkehrsminister Tarek Al-Wazir, welcher seine Spielräume zur Verzögerung und Überprüfung des Bauvorhabens konsequent nicht nutzt.

Am vergangenen Dienstag ist der letzte Baum gefallen, der direkt auf der Trasse stand. Somit wurde auch das letzte Baumhaus, passenderweise war es das Baumhaus „Hambi“, geräumt und abgerissen. Ist das eine Niederlage für die Klimagerechtigkeitsbewegung? Nein! Der Kampf um den Danni ist noch nicht vorbei und bisher war vor allem abzusehen, dass er uns stärker gemacht hat.

Erstmal zum praktischen: Verschiedenen Berichten zufolge müssen neben der Trasse noch zwischen 100 und 300 Hektar Wald für die Baustelle gerodet werden. Das Camp in Dannerod, das sich direkt am Waldrand befindet, wird nach wie vor, trotz Schnee und Kälte, aufrechterhalten und wie es scheint sammeln sich dort nach wie vor Menschen, die hoch motiviert sind, die Rodungen weiter zu verzögern. Außerdem ist die Autobahn selbst mit den Rodungen noch nicht gebaut. Das Vorhaben soll erst 2024 abgeschlossen sein. Nach den Ereignissen in den letzten Wochen, welche die A49 zum Symbolbild kapitalisticher Naturzerstörung und fehlgeleiteter Verkehrspolitik gemacht haben, bezweifele ich stark, dass diese Autobahn ungestört gebaut werden wird. Bereits jetzt ist die Rodungsschneise inklusive der „Isengard“ genannten, provisorischen Polizeifestung, die wohl best gesicherste Baustelle der Bundesrepublik: Zäune mit Stacheldraht, Patrouillen mit Hunden, Wasserwerfern, Drohnen und riesige Fluchtlichtscheinwerfer sind nötig, um die Baufahrzeuge vor dem Widerstand gegen die Zerstörung zu schützen.

Und das führt uns auch schon zum symbolischen Gewinn, den die Klimagerechtigkeitsbewegung in den letzten Wochen eingefahren hat. Wir haben gezeigt: Wir werden gegen jeden neugebauten Autobahnkilometer kämpfen! Auch wenn es natürlich nur ein Anfang ist, den Neubau von Straßen zu verhindern, so ist es doch ein wichtiger Schritt im Autoland Deutschland, diese Diskussion anzustoßen, die es bisher sogar einmal in den Bundestag geschafft hat. Das ist ein nicht zu unterschätzender Fakt, denn die Automobilindustrie als wichtigste Kapitalfraktion in Deutschland steht gewissermaßen an der Spitze im Kampf gegen Klimagerechtigkeit.

Natürlich schwingt dabei auch immer die Hoffnung mit, die Menschen mit der Demaskierung kapitalistischer Verhältnisse aufzurütteln. Bei den Bildern aus dem Danni drängt sich doch eigentlich die Frage auf: wieso? Wieso prügelt der Staat dieses Autobahnprojekt mit tausenden schwer bewaffneten Polizist*innen und schwerem Gerät durch? Sind die Entscheider*innen einfach blöd? Oder ist das diese viel zitierte Rechtsstaatlichkeit? Die Antwort lautet zweimal: nein. Das Problem ist unser profitorientiertes Wirtschaftssystem. In diesem werden zwangsläufig immer mehr Waren produziert und eben diese Waren wollen transportiert werden. Und weil der bürgerliche Staat es sich zur Aufgabe gemacht hat und sogar davon abhängt, die Profite und die Eigentumsordnung zu sichern, haben Wahnnsinnsprojekte wie die A49 oder auch jeder andere beliebige Autobahnneubau in Deutschland höchste Prorität- und werden notfalls auch mit Gewalt unter Missachtung jeglicher Vorsichtsmaßnahmen durchgezogen. Im konkreten Fall der A49 war es vor allem der Ferrero-Konzern mit seinem Werk in Stadtallendorf, der massiv für den Bau der A49 lobbyiert hat, um die etwa 1.800 LKW-Bewegungen am Werk kosteneffizienter gestalten zu können. Die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene erscheint dabei im Übrigen als bequeme Lösung innerhalb der bestehenden Ordnung, kann aber aus zweierlei Gründen nicht die alleinige Antwort sein: Zum einen, weil wir jetzt sofort handeln müssen, während der Gütertransport auf der Schiene zugunsten der Automobilkonzerne in Deutschland unterentwickelt ist, zum anderen, weil die bloße Menge an Gütern sinken muss, was in unserem Wirtschaftssystem nicht ohne massive soziale Verwerfungen möglich ist.

Nicht vergessen wollen wir an dieser Stelle auch nicht die private STRABAG GmbH, welche die A49 nicht nur im Auftrag des Bundes baut, sondern auch in einer sogenannten „Öffentlich-Privaten-Partnerschaft“ am Betrieb beteiligt ist. Obwohl sich diese Privatisierung öffentlicher Infrastruktur laut Bundesrechnungshof finanziell nicht lohnt, plant Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer zurzeit sogar noch sechs weitere sogenannte ÖPP-Projekte – hier in der Region die A20 sowie die E233 zwischen Meppen und Cloppenburg. Hier hält sich der Staat also wieder einmal brav als Selbstbedienungstopf her.

Ich will an dieser Stelle nicht verschweigen, dass es auch Anwohnerproteste für die A49 gab. Diese erhofften sich vor allem weniger Lärmbelastung durch die Entlastung ihrer Straßen. Das ist natürlich ein berechtigtes Anliegen, die Antwort darauf sollte jedoch eher lauten: weniger Warenproduktion, weniger Verkehr. Mehr Straßen bewirken exakt das Gegenteil – und dürften das Lärmproblem der Anwohner*innen auch nicht lösen, da mehr Straßen nachweislich für mehr Verkehr sorgen, auch auf den Zufahrtsstaßen. Unsere Antwort muss stattdessen lauten: System Change not Climate Change! Für ein bedarfsorientiertes Wirtschaften! Wir sind die Vorhut der Verkehrswende und wir lassen uns nicht stoppen!

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