Gebrauchtmö­belinitiative WeiterGeben.org

Barthel Pester
Nächster Vortrag zum Reparieren: Mittwoch, 03.07.2019 um 18.15 Uhr in Freie Waldorfschule, Blumenhof 9, 26135 Oldenburg
Florian Krohm, Lena Halbedel, Gebrauchtmö­belinitiative WeiterGeben.org in Essen: Stadtteilfabrik – Postwachstumsdesign aus dem Ruhrgebiet

 

Miners & Makers – Mit urbanen Rohstoffen und der Macher-Mentalität zum Postwachstumsdesign im Ruhrgebiet

Was würden Sie antworten, wenn Sie gefragt werden, ob Sie gerne einen großen Haufen Sperrmüll neben ihrer Haustüre hätten? Und zwar nicht nur für ein paar Tage – nein, stellen Sie sich vor, dieser Berg wäre dauerhaft neben ihrer Haustüre verankert. Würden Sie sich darüber freuen? Vermutlich nicht. Noch nicht.

Einer ähnlichen Situation sehen sich die Bewohner*innen das Eltingviertels ausgesetzt. Das Eltingviertel ist ein typisches ehemaliges Arbeiterviertel mitten im Ruhrgebiet, genauer gesagt im nördlichen Stadtkern von Essen. Benannt ist es nach Hermann Elting, einem Bauherr, der die Fläche kaufte, als in unmittelbarer Nähe die Zeche Viktoria Matthias entstand. Von der Zeche ist heute nur noch ein Denkmal in Form einer schwarzen Lore zu sehen. Dann wurde die Zeche im Jahr 1965 stillgelegt – die Arbeitslosigkeit kam. Heutzutage gilt das ehemals so stolze Eltingviertel mit seinen Gründerzeitbauten und grünen Innenhöfen als sozial schwach und hat mit den üblichen Herausforderungen zu kämpfen: Altersarmut, Migration, Fluktuation und eben auch Verschmutzung.

Die Sperrmüllentsorgung im Eltingviertel funktioniert anders: Während man überall bei der Stadt anruft, einen Termin vereinbart und seine Sachen sorgsam am Vorabend der Abholung vor dem Zaun stapelt und zwar so, dass auch noch der Zwillings-Kinderwagen auf dem Bürgersteig vorbeipasst, ist man im Eltingviertel pragmatischer. Genauer gesagt: Wenn man mal etwas loswerden möchte, stellt man es eben draußen da ab wo Platz ist. Sache erledigt. Dies führt dazu, dass es an vielen Straßenecken oft über mehrere Tage große Haufen an alten Stühlen, Matratzen, Tischen und Regalen gibt. Und so hat sich ein ganz eigenes System entwickelt: Vom schimpfenden Rentner, der das Ganze bei der Stadt meldet, bis über die Wohnbaugesellschaft, die den Müll auf ihre Kosten entsorgt, um das Viertel nicht verfallen zu lassen. Oft genug kommt es auch vor, dass weitere Bewohner*innen ihre Sachen zu einem existierenden Haufen Sperrmüll bringen, denn “…da wird es ja irgendwann entsorgt”. Andere Leute schauen aber auch nach noch gut erhaltenen Möbeln, die sie selbst noch gebrauchen können. Sperrmüll wird angebaut – und wieder abgebaut. Und genau mit diesem Gedanken begann das Projekt von Lena Halbedel und Florian Krohm , Studierende an der Folkwang Universität Essen.

Möbelkreislauf im Stadtteil

Was wäre, Sperrmüll nicht als Abfall, sondern als urbane Ressource zu betrachten? Wenn wir einen Wald als Ressource denken, verbinden wir damit die Gewinnung von Holz, vielleicht auch noch von Nahrung (Pilze, Nüsse, Beeren, Wildtiere….) oder sogar Dienstleistungen (Naherholung, Kur, Wandern…). Bei einem Fluss ist es ähnlich, man könnte Energie gewinnen, Handel treiben, Nahrung abschöpfen… Wie wäre es beim Sperrmüll? Die politische Lösung heißt hier bisher „Energiegewinnung durch thermische Verwertung“ – sprich: Verbrennen. Das ist leider weder einfallsreich noch besonders nachhaltig. Was also könnte man noch damit anstellen? Wir wissen schon, dass es Menschen gibt, die alte Möbel vom Sperrmüll mitnehmen. Das ist schon mal eine bessere Alternative, denn hier wird der Lebenszyklus des Produktes verlängert. Leider funktioniert das anscheinend nur mit intakten Möbeln. Was aber passiert mit dem Rest? Florian Krohm und Lena Halbedel haben sich etwa ein halbes Jahr lang den Sperrmüll im Eltingviertel angeschaut und dabei eine Entdeckung gemacht: Neben Stühlen oder Sofas werden vor allem Regale, Tische und Schränke entsorgt. Ihre Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie aus großflächigen Holzplatten bestehen; Holzplatten von einer Größe, wie man sie auch als Möbelplatte im Baumarkt kaufen kann. Warum also nicht einfach mal was daraus machen?

Ein Hocker soll es werden

Als die Beiden die Idee hatten, das Plattenmaterial des Sperrmülls zu nutzen, schnappten sie sich ein paar alte Möbel, zerlegten sie und überlegten was mit ihnen anzufangen sei. Als erstes fiel ihnen die unterschiedliche Qualität der Materialien auf. Ganz alte Möbel bestanden zum größten Teil aus Massivholz, welches geleimt, verschraubt oder genagelt worden war. Die etwas neueren Möbel, augenscheinlich aus den 60er Jahren, waren zum Teil schon aus Pressspan gebaut. Je neuer die Möbel wurden, desto höher war der Anteil an Pressspanmaterial und desto gröber war es zerkleinert worden. Einige Möbel, die augenscheinlich ein Plattenstärke von gut vier Zentimeter hatten, waren sogar innen mit einer wabenförmigen Pappstruktur aufgefüllt worden, um Material und Gewicht zu sparen. Als Hommage an die Sitzgelegenheiten, die von den Leuten immer vom Sperrmüll mitgenommen werden, beschlossen sie aus den Materialien einen Hocker zu gestalten. Dabei stellten sie sich vor, dass dieser, würde man ihn beim Sperrmüll abstellen, wieder aufgelesen würde und man somit auch das Plattenmaterial an neue Besitzer vermitteln könnte.

Echt nachhaltig

Für die Ausgestaltung des Hockers setzten die Studierenden auf mehrere Kriterien: Als allererstes sollten keine neuen Materialien zugeführt, sondern ausschließlich Sperrholz verwendet werden. Wenn man Upcyclingmärkte und dergleichen besucht, so findet man oft Schmuck oder andere kleine Artikel, die nur vermeintlich aufgewertet wurden. Beispielsweise Schmuck, der aus alten Platinen bestand. Die Platinen waren mit Harz umgossen worden und mit einer kleinen Kette versehen. Die Ketten sahen natürlich sehr schön aus, aber hier lag ein Fehler im System: Eine nachhaltige Produktion entsteht nur, wenn so wenig wie möglich ergänzende Materialien zugeführt werden. Es macht einfach keinen Sinn, 100 Platinen weiterzunutzen, wenn ich dafür Harze und Ketten zukaufen muss. Solche Produkte sind eine Gefahr, weil sie als nachhaltig und wiederverwertend verkauft werden, letzten Endes aber doch den Konsum fördern, weil sie eben zum großen Anteil aus neuen Materialien bestehen. Von daher war klar: Der Hocker muss am besten ohne zugekaufte Mittel auskommen.

Aus Sperrmüll entsteht ein Unikat

Der zweite Punkt war der Lebenszyklus an sich: Wie hält ein Hocker besonders lange? Zum einen durch eine professionelle Verarbeitung, zum anderen durch Reparierbarkeit. Außerdem musste man jedem Hocker auch optisch seine Herkunft, sprich das ursprüngliche Material ansehen können. Florian Krohm und Lena Halbedel bauten etwa zehn verschiedene Prototypen bis der Entwurf stand: Herausgekommen ist ein Hocker, der aus zusammengeleimten Holzplatten besteht und ineinandergesteckt wird. So können Einzelteile einfach ersetzt werden und es wird außerdem möglich, den Hocker platzsparend zu verstauen. Das Produkt wird auf der CNC-Fräse hergestellt, damit die Steckverbindungen auf den Zehntel-Millimeter genau gefertigt werden können und so eine saubere Verarbeitung gewährleistet wird. Jedes Produkt ist ein Unikat, da es aus verschiedenen Platten besteht, was man optisch durch die unterschiedlichen Lasur- und Farbreste sieht, die dem Hocker einen roughen, urbanen Charakter geben.

Die Beiden haben es geschafft, aus dem Problem Sperrmüll einen urbanen Rohstoff zu machen, in dem sie ihn als Ressource sahen und aus Materialien, die keiner mehr haben wollte, ein schönes, reparierfähiges und gut verarbeitetes Produkt ohne “Zusatzstoffe”, (abgesehen von
etwas Leim) gemacht hatten. Von solchen Produkten musste es mehr geben! Sie fingen daher an, eine ausgezeichnete Behindertenwerkstatt in der Umgebung mit einer Kleinserienfertigung zu beauftragen, gründeten für den Vertrieb eine Firma und begannen den Hocker auf Nachhaltigkeitsmärkten und -messen zu verkaufen.

Das Feedback ist großartig. Immer wieder hörten sie, dass man gar nicht vermuten würde, dass der Hocker aus Sperrmüll bestehe und auch die Steckbarkeit löst Begeisterung aus. Viele fragten, ob sie so einen Hocker auch selber nachbauen könnten. Und da wurde ein weiteres Problem offenbar: Wenn auch in anderen Stadtteilen als dem Eltingviertel den Sperrmüll reduziert werden soll, dann konnten Florian Krohm und Lena Halbedel das unmöglich selber tun. Vielmehr müssten sie den Menschen beibringen, wie sie selbst den Rohstoff Sperrmüll nutzen konnten, damit er als urbane Ressource akzeptiert wird. Wie es immer heißt: Man darf den Leuten nicht nur den Fisch bringen, man muss ihnen beibringen zu angeln.

Back to the woods

Mittlerweile verkaufen Lena Halbedel und Florian Krohm nicht nur Möbel aus Sperrmüll, sondern bieten auch Workshops rund um das Thema urbane Produktion an. Und die sind gefragt! Ganz im Sinne des Hashtags #könnenstattkaufen führen sie Menschen wieder zurück zum Handwerk, aber auch zu moderenen Produktionsformen wie 3D-Druck oder CNC-Fräsen.

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