Nachhaltige Lebensmittel zu kaufen, ist einfach. Wir gehen in den Bioladen und wissen, dass dort so gut wie alle Produkte bio-zertifiziert und einige Produkte FairTrade-zertifiziert sind. Klar, das System und die Siegel sind nicht perfekt. Doch gewähren sie gewisse Mindeststandards. Wollen wir uns ein neues Smartphone oder einen neuen Computer kaufen, fällt schnell auf, dass es nicht einmal diese Mindeststandards gibt. Und das, obwohl die Digitalisierung gerade ein Buzzword ist und die allermeisten Menschen im Globalen Norden jetzt schon ein Smartphone und einen Computer besitzen. Die Herkunft von Elektronik ist eine Blackbox, selbst bei so alltäglichen Dingen wie LED-Glühlampen und Kaffeemaschinen.
Regelmäßig gelangen neue Meldungen über menschenverachtende Zustände an die Öffentlichkeit, angefangen von suizidalen Arbeiter*innen bis zu Menschenrechtsverletzungen beim Rohstoffabbau. Aber es gibt einen Silberstreifen am Horizont: einige Pionier*innen, die sich der Sisyphos-Aufgabe verschrieben haben, Elektronik ökologischer, reparierbarer und fairer zu machen.
Das Fairphone ist wohl das bekannteste Beispiel für Elektronik, die fair produziert und wieder reparierbar sein möchte. Wieder reparierbar, weil es früher selbstverständlich war, dem Fernseher, dem Radio, einen Schaltplan beizulegen. In dieser Hinsicht hat die Wirtschaft einen großen Rückschritt gemacht. Vor einigen Jahrzehnten noch konnte sich jede*r zumindest an der Reparatur versuchen. Damals gab es auch noch Läden zur Reparatur – wir erinnern uns –, die sogenannten Fernseh- und Radiotechniker*innen waren das. Diese Läden sind mittlerweile fast alle verschwunden. Das Fairphone kehrt zu dieser Tradition zurück: Ersatzteile und modulare Upgrades können genauso einfach wie das Originalgerät im Online-Shop erworben werden. Die Nutzenden erlangen so Kontrolle über ihr Gerät zurück, die bei Apple oder Samsung fehlt. Während viele Leute bislang von der technischen Leistung des Fairphones enttäuscht waren, soll das Fairphone 4 Vergleichbarkeit zu den großen Hersteller*innen schaffen.
Neben der Reparierbarkeit fokussiert sich Fairphone auf fairen, konfliktfreien Rohstoffbezug und faire Löhne für Arbeiter*innen in der Produktion. Komplett fair ist das Fairphone allerdings nicht, wie das Unternehmen regelmäßig transparent dargestellt hat. Unter den aktuellen Umständen ist das unmöglich.
Diese Umstände will der Verein FairLötet ändern. Dafür bietet er Unternehmen und Aktivist*innen Tools und Beratungen an.
Ursprünglich inspiriert worden ist FairLötet aus der Arbeitsgruppe Fair Computer des Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FifF). Der Verein sei jedoch eher auf gesellschaftliche Themen ausgerichtet, so Mitgründer Sebastian Jekutsch. Deswegen hätten Interessierte FairLötet als eigenständigen Verein gegründet.
Zunächst widmete sich FairLötet einem Produkt, ohne das kein elektrisches Gerät auskommt: Lötzinn. Zusammen mit dem bekannten Hersteller Stannol hat FairLötet ein Lötzinn auf den Markt gebracht, das aus recycletem Zinn mit konfliktfreier Herkunft und CO2-neutral hergestellt wird. Die nachhaltige Denkweise hat sich bei Stannol verselbstständigt. Die Zusammenarbeit ist mittlerweile beendet, dennoch hat das Unternehmen eine eigenständige faire und umweltfreundliche Produktlinie herausgebracht.
Dem Verein Nager IT kam das faire Lötzinn gerade recht. Die Mitglieder verfolgten das Ziel, eine faire Computermaus zu bauen und hatten dafür die gesamte Lieferkette analysiert und optimiert. Das Ergebnis ist interessant und überraschend zugleich: Beispielsweise wird als Material für das Scrollrad nicht wie üblich aus Kunststoff, sondern aus Holz benutzt.
Mittlerweile sucht FairLötet nach neuen Produkten, die der Verein begleiten kann. So wird in Betracht gezogen, das Startup Syllucid beim Bezug fairer Rohstoffe für ihre langlebigen USB-Ladekabel zu unterstützen.
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Daneben stellt FairLötet Open-Source-Infrastrukturen zur Verfügung: Beim Projekt Fairtronics werden Geräte auf ihr soziales Risikopotential untersucht. Zunächst wird analysiert, welche Komponenten verbaut und welche Mengen vom jeweiligen Rohstoff verwandt worden sind. Als nächstes wird anhand der globalen Handelsmengen festgestellt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Rohstoff aus einem bestimmten Land kommt. Rund 31 % des 2019 abgebauten Kupfers kommt beispielsweise aus Chile. Nun kann analysiert werden, wie die Arbeitsbedingungen in Chile sind. So kann eine Schätzung für jeden Rohstoff abgegeben werden und potentielle Risikobauteile ausgemacht und, wenn möglich, beseitig werden. Dass das Risiko momentan nur auf eine abstrakte, statistische Weise festgestellt werden kann, liegt daran, dass die fördernden und herstellenden Unternehmen keinerlei Informationen über ihre Lieferketten veröffentlichen. Schlechte Arbeitsbedingungen werden meist auch nur durch investigative Recherchen publik.
Eine Änderung der Geimhaltung soll das Projekt Transparenzindex anregen, das an die Komponenten-Hersteller*innen gerichtet ist. Die im Allgemeinen wenig bekannten Unternehmen wie NXP, Vishay oder Nippon Chemi-Con stellen beispielsweise Microchips, Widerstände oder Kondensatoren her, die Grundlage für so gut wie jedes elektrisches Gerät. Ein Fragebogen soll Aufklärung über die tatsächlichen Rohstoffquellen dieser Unternehmen bieten. So bekommen die Produzent*innen von elektronischen Geräten eine bessere Übersicht über Komponenten, die sie für ein faires Gerät einkaufen sollten. Aktuell mangelt es jedoch an Kapazitäten für dieses Projekt – FairLötet arbeitet nämlich komplett ehrenamtlich.
FairLötet bevorzugt gesetzliche gegenüber individuellen Lösungen. Das Lieferkettengesetz biete erste Ansätze, allerdings sei es gerade in puncto Rohstoffe schwach, meint Jekutsch. In der Tat konzentriert sich das Gesetz vor allem auf direkt zuliefernde Unternehmen.
Einige Firmen sind nicht nur in puncto Nachhaltigkeit, sondern auch in der technischen Konzeption innovation. SHIFTPHONES war bislang die deutsche Antwort auf das Fairphone. Nun arbeitet die Firma am SHIFTmu, ein einziges Gerät, das mit verschiedenen Displays als Smartphone, Tablet und Laptop benutzt werden kann. Diese Idee wird in der Tech-Szene Konvergenz genannt. Das Gerät wird voraussichtlich erst 2023 verfügbar sein werden, kann aber bereits vorbestellt werden. Wie gut dieses Prinzip funktioniert, wird wohl erst dann zu sehen sein.
Innovationen können aber auch schrittweise erfolgen. Die Berliner Firma MNT stellt einen Laptop her, dessen Design und Software vollständig unter Open-Source-Lizenz veröffentlicht werden. Diese beiden Faktoren machen den Laptop einfach reparier- und anpassbar. Die Endfertigung findet im Berliner Headquarter statt, die Komponenten werden aus China, den USA und den Niederlanden zugeliefert. Um bei den Herstellungsbedingungen auf der sicheren Seite zu sein, wurden auch zuliefernde Unternehmen in Deutschland und der EU angefragt. Die seien aber oft zu unflexibel in der Abwicklung und letztendlich auch zu teuer gewesen, so Pressesprecherin Caroline A. Sosat.
Im Gegensatz zu beinahe allen gegenwärtigen Geräten der großen Hersteller*innen sind die Komponenten leicht aus dem Gerät zu lösen. Das macht den MNT Reform größer und schwerer als vergleichbare Laptops, aber vermutlich auch langlebiger. Zudem ist die Software zu hundert Prozent frei lizensiert. Der MNT Reform: ein vollständig transparenter Computer.
Entstanden ist der Reform vor allem aus Enttäuschung über die Entwicklungen bei Apple. Zunehmende Einschränkungen und Qualitätsverlust bewegten den MNT-Gründer Lukas Hartmann dazu, einen hochqualitativen Computer nach den eigenen Bedürfnissen, entgegen allgemeiner Trends bauen zu wollen. In einem Crowdfunding wurde der erste Produktionsdurchgang für den Reform finanziert. Die mechanische Tastatur vom MNT Reform ist mittlerweile sogar so erfolgreich, dass sie als Standalone-Version herausgebracht wurde.
Aus dem Streben nach einem guten Computer ergab sich irgendwann der explizite Nachhaltigkeitsanspruch. Mittlerweile arbeitet MNT zusammen mit der Universität der Künste Berlin an dem Pocket Reform, einem Laptop, der vollständig dem Konzept der Kreislaufwirtschaft entsprechen soll. Alle Teile des Laptops müssen also wiederverwertbar oder zumindest recyclebar sein.
MNT rechnet damit, bald gewinnbringend zu arbeiten. Insgesamt müsse die Branche „einen richtig langen Atem haben und dran bleiben“, ist Sosat überzeugt.
Nachhaltige Geräte brauchen aber auch entsprechende Vertriebsstrukturen und Nutzungskonzepte. Dieser Herausforderung widmet sich die französische Genossenschaft Commown. Sie vermietet ausschließlich reparierbare Geräte an Mitglieder: das Fairphone, Kopfhörer von der Gerrard Street, Laptops von why! Die Mietpreise verstehen sich inklusive Wartung und eventuell anfallender Reparaturen.
Zusammen mit Fairphone, den Telekommunikationsanbier*innen WEtell und TeleCoop sowie der Initiative hinter dem freien Betriebssystem /e/OS hat Commown das Kollektiv FairTEC gegründet. Dort können Fairphones im Komplettpaket mit einem nachhhaltigen Mobilfunkvertrag gemietet oder gekauft werden. „Die ‚Vermietung mit Servicedienstleistungen‘ ist das nachhaltigste Modell, weil es erlaubt, die Geräte so lange wie möglich zu nutzen. Es ist ebenfalls das Modell, das den höchsten Kreislaufeffekt garantiert“, heißt es auf der Website.
Es ist noch ein weiter Weg, bis faire Elektronik so alltäglich sein wird wie Biogemüse. Pionier*innenarbeit wird aber schon geleistet. Die entstehenden Geräte sind nicht nur nachhaltiger, sondern verfolgen oft auch technisch neuartige Konzepte. Wer für solche Lösungen offen ist, sollte bei der nächsten Anschaffung an diese Unternehmen denken. Niemand muss sofort ein Gerät kaufen. Bei Commown kann es monatlich gemietet werden.
Letztendlich profitiert die Szene für nachhaltige Elektronik immens vom Open-Source-Gedanken und der Hacker*innen-Community. Populäre Websites wie Hackaday zeigen auf, wie Elektronik selbst entwickelt oder umgenutzt werden kann. Wer das lieber persönlich lernen möchte, sollte im lokalen Hackspace vorbeischauen.
Das Zeitalter der nachhaltigen Elektronik hat gerade erst begonnen. Wie es genau aussehen wird, bestimmen nicht nur die großen Unternehmen, sondern auch kleine Initiativen wie FairLötet, Kollektive wie Commown und die hackende Community.
Das ist ein sehr wichtiger Schritt, den ihr gerade macht, es kann nicht so weitergehen wie bisher. Ich wünsche euch guten Erfolg, und dass es noch viele
mutige Leute gibt, die es genauso machen und unterstützen.
Sehr guter Artikel, vielen Dank dafür!
http://www.commown.coop/de
Danke!